NAMM 2001

Das grosse Gähnen
Neuheiten der "Grossen"
Weitere Neuheiten
Überraschungen
100years NAMMNach 4jährigem Unterbruch, während dem die Winter NAMM im Convention Center in L.A. abgehalten wurde, kehrte die wohl wichtigste Musikmesse in das völlig umgebaute und erweiterte Convention Center in Anaheim zurück, just zum 100jährigen Bestehen dieser amerikanischen Händlerorganisation.

Für NAMM-Neulinge: Neben der Ausstellung finden während den Messetagen Seminarien und Vorträge statt, die die Verbandsmitglieder, also die Mehrzahl der amerikanischen Musikalienhändler, über die neusten Erkenntnisse der Umsatzvermehrung und Kundenbehandlung informieren sollen. Doch das Grossereignis ist und bleibt die Ausstellung, an der jedes Jahr unzählige Neuheiten im Musiksektor den staunenden Händlern vorgestellt und zur sofortigen Bestellung empfohlen werden. Im Gegensatz zur Musikmesse in Frankfurt ist die NAMM "not open to the public", hat also keine Publikumstage. Interessanterweise gibt es zusätzlich zu den Exhibitors (Ausstellern) und den Buyers (Händlern, Wiederverkäufern) jedoch auch sogenannte Visitor-Karten, die dann eben doch einer grösseren Zahl von "Interessierten" eine Entdeckungsreise durch die Zukunft der Musik-Werkzeuge ermöglicht. Denn schliesslich bringen auch Besucher Geld, und alles, was Geld bringt, ist gut.

Auf der Suche

Nicht alle Ausstellerfirmen schafften den Spurt auf die guten Plätze gleichermassen. So kam es dann, dass man renommierte Firmen in abgelegenen Ecken, Nebenräumen oder gar Spezialzimmern in den oberen oder unteren Etagen suchen musste. JBL, dieses Jahr als Organisator für die Harman-Gruppe zuständig, hatte den Anmeldetermin ganz offensichtlich verschlafen, so dass einer der Coffeshops für Lexicon und ein "Lagerraum" für die übrigen Firmen umfunktioniert wurde. AKG war dann sogar separat im 2. Stock zu finden. Und in der Halle E, der einzigen im schlecht klimatisierten (lies: heissen) Untergeschoss fand man Firmen wie Behringer, Radar und Rode inmitten von Newcomern, Didgeridoos und Kleinzubehör-Anbietern. Yamaha war traditionsgemäss wieder ausserhalb der "heiligen Hallen" anzutreffen und zeigte ihre zwar immer noch grosse, aber anscheinend gestraffte Produktepalette im Marriott-Hotel.

Das grosse GähnenConventionCenter

Die NAMM dauert offiziell vier Tage, von Donnerstag bis und mit Sonntag, wobei der Sonntag bekanntlich ein eher ruhiger Tag ist. Die meisten Besucher geniessen diesen Tag lieber im Disneyland (gleich nebenan). Zu "Workshop"-Zeiten, als ich sämtliche Neuheiten aller Sparten im Alleingang erkunden musste, war ich froh um die vier Tage; doch in diesem Jahr konnte ich meine Zelte schon nach zwei Tagen abbrechen, da ich den Eindruck hatte, alles Wesentliche gesehen zu haben. Natürlich liess ich bei meinen Wanderungen sowohl "sensationelle neue Drumsticks" als auch "revolutionäre Bassaiten" links und rechts liegen und konzentrierte mich auf das, was mich und somit (hoffentlich) die Mehrheit der "MusicFarm"-Leserinnen und Leser interessiert. Und das war schlussendlich herzlich wenig.

Der Trend

Der allgemeine Trend war in dieser "ersten Musikmesse des neuen Jahrtausends" die Konsolidierung alter Schulden, das Einlösen lange abgegebener Versprechungen, also endlich das Ausliefern von Geräten, die in den letzten 14 Monaten vorgestellt und angepriesen worden waren. Viele Presseinformationen konnten mit kleinen Änderungen nochmals gedruckt werden, nur dass nun "stellt vor" mit dem Zusatz "steht kurz vor der Auslieferung" ergänzt wurde. Natürlich gab es Neues zu bewundern, nur war das meiste Neue nichts wirklich Neues, sondern in den meisten Fällen eine verbesserte oder erweiterte Version bekannter Modelle. Als vor einigen Jahren Roland das VS-880 vorstellte, war das eine Sensation, doch das diesjährige VS-2480 ist höchstens die den Kundenwünschen und der technischen Entwicklung angepasste Version – und mittlerweile gibt es diverse Harddiskrecorder mit ähnlicher Ausstattung zum vergleichbaren Preis.

Doch dann muss man sich fragen, was denn überhaupt noch erfunden werden kann! Ähnlich wie im Pop- und Rockbusiness, wo man mangels geeignetem Nachwuchs (?) die alte Garde nochmals reaktiviert, werden immer mehr der guten alten Instrumente in Softwareform als Plug-ins zu einem Bruchteil des Preises (und erst noch ohne Transportprobleme)angeboten. Sogar die grossen Softwareschmieden begnügten sich mit kleineren Updates, einigen wenigen neuen Plug-ins und dafür etwas mehr Kompatibilität. Und das schöne dabei: Erstmals hatte ich nach einer NAMM nicht das Gefühl, mein Computer sei hilflos veraltet, zu langsam, mit zu wenig RAM, einer viel zu kleinen Harddisk und müsse sofort ersetzt werden, damit ich all die neuen, faszinierenden Angebote überhaupt nutzen könne.

Also: Keine weltbewegenden Neuentwicklungen – wenden wir uns also den Tatsachen zu.

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Die Neuheiten der "Grossen"

PSR-9000 ProErstmals hatte ich das Gefühl, dass Yamaha mit gebremster Kraft auffährt.

Im Portable Keyboards-Sektor gab es kein PSR-10000, wie unser Keyboard-Spezialist Christian Deinhardt mit einem Augenzwinkern als Möglichkeit in Aussicht stellte, sondern "nur" ein PSR-9000 Pro mit einigen Erweiterungen und Zusatzmöglichkeiten.


Weniger gebremst ging es bei Roland zu und her, wenn auch die diversen Neuvorstellungen (wie schon oben erwähnt) Bekanntes in neuem Gewand darstellen. Roland VS-2480

Das VS-2480 ist eine wirkliche Workstation geworden, hat den "Spielzeugcharakter" der Vorgängermodelle völlig abgelegt, wurde mit "moving faders" und vielen Eingängen ausgestattet. Bei der Demo wurde ich jedoch das Gefühl nicht los, dass immer noch viel zu viele Knöpfchen gedrückt werden müssen, um eine Funktion erfolgreich zu aktivieren, und trotz der gegenteiligen Versicherung der Vorführdame hatte ich den Eindruck, dass die Bedienerfreundlichkeit nicht wesentlich verbessert worden sei.

Eine gute Demo ist natürlich Gold wert. Das galt vor allem für den VGA-5, den Gitarrenverstärker mit integrierter COSM. Über den speziellen Tonabnehmer erzeugte der Roland-Gitarrist so ziemlich alle Klänge auf seiner Fender, die man aus sowohl akustischen als auch E-Gitarren herausholen kann.


Roland RS-9

Die beiden Synthesizer RS-5 und RS-9 sind von der Klangsynthese her günstige Varianten der XV-Serie, also absolut im Trend der "Neuverpackung".


Korg KarmaAlle Korg-Mitarbeiter zeigten sich in weinroten "Karma"-Hemden, um auf die wirklich umwerfende Neuheit hinzuweisen. Der Karma sei seit 7 Jahren Entwicklung endlich vorführbereit; ein Synthesizer, der mehr mit seinen Möglichkeiten als Arpeggiator auftrumpft, denn als neuartiger Klangerzeuger. Arpeggiator darf jedoch in diesem Falle wirklich nur als erklärender Ausdruck verwendet werden, denn der Karma erzeugt Klangmuster, die einzigartig sind und von keinem anderen Gerät oder Software erzeugt werden könnten. Natürlich sind solche Klangmuster (GE = Generated Effect), die aus bis zu 400 Parametern bestehen, auch selbst programmierbar; die mitgelieferten reichen von Techno-Arpeggios bis hin zu verblüffend echt wirkenden Harfen- und E-Gitarren-Spielmustern, die sich ganz den Akkorden und dem Spielverhalten des Spielers anpassen, Muster, die auch ein technisch brillanter Tastenmann (oder –Frau) niemals hinkriegen würde. Im Rückblick würde ich den Karma als die bereicherndste Neuvorstellung klassieren.

Korg D1600Der PA-80 Professional Arranger ist ein auf Tritonsounds basierendes "Portable Keyboard" für den Bühnenmusiker oder Alleinunterhalter mit allem Drum und Dran.


Das D1600 Digital Recording Studio ist Korgs neue Komplettversion mit einer internen 20 GB Festplatte, 24 bit/44.1 kHz Recording-Möglichkeit. Ohne Werkzeug und wirklich mit einem Handgriff hat man Zugang zu den Innereien, kann problemlos weitere Speichermedien oder CD-Brenner integrieren. Immer wieder faszinierend ist die Arbeit mit einem berührungsempfindlichen Display. Die Bedienung wird enorm vereinfacht, finde ich.

Alesis HD24Zu den "Grossen" gehört ja auch Alesis, was die Firma (mit Sitz in Santa Monica!) auch durch ihre Neuheitenliste beeindruckend belegte. Um seine nun doch langsam in die Jahre kommenden Adat-Recorder zu ergänzen, stellte Alesis den HD24 vor, einen 24-Spur Harddisk-Recorder, der mit 24 bit/44.1 resp. 48 kHz arbeitet, eine 88.2/96 kHz I/O-Karte ist in Vorbereitung. Der HD24 soll noch in diesem Frühling in den Handel kommen und zwar zum sensationellen Preis von 2000 US$. Ein elegantes Arbeiten wird allerdings erst durch die zusätzliche Anschaffung der Fernbedienungs/Editing-Einheit (ca. Sommer 2001 für rund 600 US$) möglich.

Alesis AirSynthMit dem ProLinear 820DSP Studio Monitor soll ebenfalls in den nächsten drei Monaten ein neuer aktiver Studiomonitor die Regale der Musikalienhändler und hoffentlich auch die Studios beleben. Neuartig beim ProLinear 820 ist die Frontbedienung mit LCD, die den Zugriff auf den internen EQ und somit eine individuelle Anpassung ermöglichen.

Nach dem Publikumserfolg des handgesteuerten AirFX (der nun ausgeliefert wird) wurde nach dem selben Konzept der AirSynth konstruiert.



Und
Tascam? Nach den überraschenden Neuheiten, die an der AES präsentiert wurden, konzentrierte sich die Firma auf die Verbesserung der Software ihres MX-2424, hat endlich laufende Treiber und ein komplettes Softwarepaket zum US-428 und präsentlerte als einzig neues Produkt einen speziellen DJ-Mixer, den X-9.

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Aus der "Mittelklasse"Akai DPS24

AMIC? Die Firma Akai Musical Instrument Corporation führt die Entwicklung und den Vertrieb der Akai-Geräte fort, wenn auch in wesentlich kleinerem Rahmen als zuvor, wie mir scheint. Trotzdem: Das DPS24, der grössere Bruder des für 2800 US$ erhältlichen DPS16, sieht nicht nur vielversprechend aus, sondern weist auch diverse interessante Daten und Features auf. Leider war weder über den Preis noch die Lieferbarkeit des nur hinter Glas ausgestellten DPS24 (= Digital Personal Studio) etwas zu erfahren.


Technics KN6500

In einen schwach frequentierten Raum im 2. Stock fand ich auch die neuen Technics und Panasonic Keyboardmodelle. Erwähnenswert scheint mir hier höchstens das SX-KN6500, das ab Februar lieferbar sein wird. Es soll 60 neue Klänge enthalten, von denen deren 15 der Kategorie "Solist" zugeteilt sind, 20 neue Rhythmen sowie 80 neue Rhythmus-Variationen runden das Bild ab, und auch das Äussere wurde mit einem Platinfinish dem neuen Trend angepasst.

Bei E-mu hatte ich den Eindruck, dass man alles mehrfach vermarktet, was nur irgendwie vermarktet werden kann. Die Firma schwimmt buchstäblich in Expandern – die meisten mit trendigen Technosounds – und Erweiterungskarten (u.a. für den Proteus 2000). Unter den weniger trendigen findet man eine Hammond B3-Imitation und – als Nachfolger der Ur-Proteus-Modelle – den Virtuoso 2000 (für klassische Orchestermusik) und den Planet Earth mit ethnischen Sounds. Natürlich sind sie alle da, die Sampler, die ja E-mu berühmt gemacht haben … und Paris, das HD-Recording System, aber eben: nicht "new", höchstens "improved".

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Und die "Kleinen"?

Unter den etablierten kleineren Firmen fiel eigentlich nur Midiman resp. M-Audio auf: Diese Firma entdeckt immer wieder Marktlücken für kleine Helfergerätchen und stellt klanglich hervorragende Soundkarten her. Erfreulich auch, dass sie sich dieses Jahr für die Zusammenarbeit mit zwei Grossfirmen entschieden haben: Apple – alle M-Audio-Geräte werden auch mit den neusten Mac-Treibern ausgeliefert – und Emagic – das Delta-Paket enthält ein spezielle Logic AudioVersion, den Logic Delta sowie andere Gratis-Zusatzsoftware, die auf beiden Plattformen einen sofortigen Start mit der Deltakarte ermöglichen.

Software

Steinberg präsentierte neben Cubase 5 Nuendo 1.5, das nun auch für den Mac erhältlich ist, doch der Schwerpunkt des Zuschauerinteresses galt meines Erachtens den neuen VST 2.0 Plug-ins, insbesondere dem 32-bit Software-Sampler Halion (siehe Testbericht).

Emagic EXS24Emagic stellte das "downloadable Update" 4.7 seiner Logic Serie und die nun erhältliche, völlig überarbeitete SoundDiver Version (3.0.1) vor. Besonderes Interesse weckte jedoch der Software-Sampler EXS24, der sowohl in der Native Variante als auch als TDM Plug-in erhältlich ist. Und dann wären da noch das EVP88, das Emagic Vintage Piano zu erwähnen, ein weiteres Software Instrument, das diverse E-Pianosounds generiert.
Hardwaremässig wurde das erste 24 bit "portable multichannel audio interface for USB"; das EMI 2/6 soll im März für rund 500 US$ in den Verkauf gelangen.

Coda zeigte eine völlig überarbeitete Version ihrer Notationssoftware Finale, doch war der steigende Konkurrenzdruck durch Sibelius (siehe Testbericht) eindeutig zu spüren.

Überraschungen und "Fast-Enten"

Falls Sie sich fragen sollten, wieso denn Mackie bisher keine Erwähnung fand … produktemässig sah ich nichts wirklich Neues (abgesehen von neuen Softwareversionen in ihren Digitalprodukten). Und doch war es wiederum die rasant wachsende Firma aus Woodinville, die für Schlagzeilen sorgte, indem sie die Übernahme der Firma Sydec ankündete. Sydec? Das Entwicklerteam von Soundscape, der ersten digitalen Mehrkanalaudio-Workstation, arbeitet nun also für Mackie. Was mit dem Produkt Soundscape geschieht, war nach der Pressekonferenz noch nicht ganz klar. "Es sind die enorm talentierten Sydec-Mitarbeiter, die uns hauptsächlich interessierten, nicht die bestehende Technologie", konnte man von der Mackie-Seite hören.

Junge/MackieUnd dann kam es beinahe zu einer der grössten News-Enten: Unter Journalisten wurde am Donnerstag Vormittag das Gerücht laut, dass Mackie nicht nur Sydec kaufe, sondern sich gleich auch noch Emagic einverleibe. Geschürt wurde diese Mitteilung durch die Tatsache, dass man bei Emagic kein Pressematerial erhielt mit dem Hinweis, dass vor der offiziellen Pressekonferenz um 15 Uhr keine Informationen verteilt würden. Um 14 Uhr 45 sah man Greg Mackie und Sven Junge Seite an Seite in Blitzlichter lächeln. Dann endlich um 15 Uhr 05 wurde der staunenden Journalistenrunde erklärt, dass Mackie und Emagic eine "strategische Allianz" eingegangen seien und dass Mackie für Emagic-Produkte Hardware bauen werde (wie seinerzeit Mackie und Digidesign – Produkt = HUI). Als erstes Produkt wurde Logic Control für diesen Sommer angekündet, eine Bedienungseinheit für den Logic Audio mit u.a. acht berührungsempfindlichen Motorfadern, 2 XLR Mikrofon-Eingängen, Data Wheel usw.

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Weitere Allianzen

AKG C3000BRoland bestätigte eine enge Zusammenarbeit mit AKG, indem das C3000B Mikrofon zum "offiziellen Mikrofon" für die optimale Anwendung des im VS-2480 integrierten Mikrofonmodelling ernannt wurde. Der Frequenzgang und die Empfindlichkeit des AKG C3000B seien die ideale Grundlage für die digitale Umsetzung der verschiedensten virtuellen Mikrofon-Charakteristikas.

Und deshalb …

TeuffelGuitarDie Höhepunkte jeder NAMM waren für mich immer die Live-Auftritte und herausragenden Demos bekannter Musiker, von denen es in Los Angeles ja bekanntlich wimmelt. Doch dieses Jahr waren sie enorm dünn gesät, die musikalischen Farbtupfer, die die NAMM so viel aufregender machten als die Musikmesse in Frankfurt. Es gab wenige Produktevorführungen, bei denen man gerne 30 oder gar 40 Minuten verweilte. Und so schliesse ich denn diesen Bericht nicht mit der Erwähnung eines Live-Spektakels, der mein Musikerherz höher schlagen liess, sondern mit dem Bild einer Teuffel-Gitarre, die wegen ihres Designs meine Aufmerksamkeit auf sich zog.

Hoffen wir, dass der Mangel an Neuheiten bewirkt, dass die Musiker sich etwas mehr auf die Instrumente konzentrieren können, die sie bereits besitzen und nun mit der gewonnenen Zeit ihrer Kreativität freien Lauf lassen können.

Christian Hunziker

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