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Ausklang

109. aes conventionAES 2000

Erstmals in Los Angeles (bisher fanden AES Conventions alle 2 Jahre in San Francisco statt), öffnete die 109. AES Convention am 22. September um 12 Uhr ihre Tore. Der Andrang war gross: 19'000 Professionals aus aller Welt strömten in die Ausstellungshalle, um sich über die neusten Produkte, Entwicklungen und Trends informieren zu können. Wie immer waren die Haupthalle und die diversen kleinen Vorführräume (diesmal im L.A. Convention Center schnell erreichbar) nur ein Teil des Ganzen: Die AES Convention bietet ja vor allem auch technischen Ideenaustausch in Form von Vorträgen und Seminarien, ganz zu schweigen von den immer gut besuchten Special Events.

Surrounded by Sound

Das Thema der diesjährigen US-Convention war "Surrounded by Sound" (vom Sound umgeben) und war der Entwicklung von Surround gewidmet. Dies kam denn auch in den Worten von Herbie Hancock zum Ausdruck, dem Jazzkeyboarder, der in den letzten 30 Jahren sowohl für technische als auch musikalische Innovationen in der Musikindustrie verantwortlich war: "Stereo ist zwar besser als Mono, doch ist es nicht die natürlich Art, wie wir Klänge empfinden. Wir werden im Alltag von Klängen, Geräuschen, von Musik umhüllt und nicht konfrontiert." Doch dies war nur die Essenz seiner Eröffnungsworte, die einen kurzen Abriss über die Entwicklung der Musikwiedergabe der letzten 60 Jahre enthielt. Hancock schloss mit dem Aufruf an die Entwickler, nicht bei 5.1 stehen zu bleiben, sondern die Zahlenreihe weiter zu verfolgen, die bei 1 (mono) startete, über zwei (stereo) und 4 (quadro) auf 5.1 kletterte; man Herbie Hancocksolle nicht ruhen, bis man bei der optimalen 10 (was immer dies auch sein mag) angelangt sei.

Keynote Speaker Herbie Hancock

Vorführungen mit Zukunftsaussichten

Dass dies absolut möglich ist und sogar von einigen Künstlern angestrebt wird, zeigten Vorführungen mit 6.1 und 7.1 (die 1 nach dem Punkt bezieht sich immer auf den Subwoofer, den speziellen, ungerichteten Basslautsprecher für alle Kanäle, die Zahl vor dem Punkt bezieht sich auf die Anzahl mit einem eigenen Signal gespeister Lautsprecher). In der 7.1 Vorführung war neben einem diskreten Mitte-Hinten-Kanal auch noch ein Mitte-Oben-Kanal in Form eines Deckenlautsprechers vorhanden. Der vorführende Re-Mix-Künstler wies allerdings darauf hin, dass er noch einen weiteren, den "Mitte-Unten-Kanal" geplant und auch abgemischt hatte, die Installationsfirma jedoch aus Platz- (und Spar-?)gründen auf diesen verzichtet habe, da es die Konstruktion einer von unten beschallbaren Tribüne erfordert hätte. Doch schwärmte er schon von seiner Idee, wie der Klang am Schluss des Songs zuerst wie eine Art Tornado den oder die Hörer umbrause, um dann in ein "Mittenloch" (eben dem Mitte-Unten-Kanal) hinunter gesaugt zu werden.

Wenn seine Visionen Schule machen sollten, werden wir bald riesige Kinoneubauten erleben, in denen wir den Sound wirklich aus allen Dimensionen erleben können. Huxleys 3D-Hör-Riech- und Fühlkino (Brave New World) scheint immer näher zu rücken.

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Die Ausstellung

Gerne gebe ich zu, dass die Zeiten der feuchten Hände, der glühenden Wangen und der leuchtenden Augen über die Vorfreude von Neuentdeckungen an einer Messe für mich etwas vorbei sind, doch ich war immer noch echt gespannt, was sich die Industrie denn diesmal Neues ausgedacht hatte.

Neues? Wo denn? Was denn? Bei wem denn?

Sicher: Die AES ist eigentlich eine Profi-Messe, an der vorwiegend neue High-End-Geräte gezeigt werden. Doch auch im High-End (das ohnehin immer mehr mit dem Low-End verschmilzt) gab es beinahe ausschliesslich Verbesserungen zu vermerken, neue Versionen bekannter Geräte – und immer nach dem digitalen Kennspruch: Mehr für weniger. E-mu E4

Das hat natürlich seinen Grund: Die Zeiten, in denen man ein neues Gerät bauen musste, wenn man Neuerungen, Erweiterungen und Verbesserungen integrieren wollte, sind vorbei. Da bei digitalen Geräten das Innenleben, also die Software, die Programmierung den Unterschied ausmacht und nicht die neue Frontplatte mit drei weiteren Knöpfen und vier zusätzlichen Schiebereglern, werden wir wohl in Zukunft immer weniger äusserlich Neues sehen und uns auf die meist unsichtbaren oder zumindest erst in der Anwendung erkennbaren Innenwerte konzentrieren müssen.

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Produkte

Von den Kunden, die dies noch nicht erkannt haben, profitiert momentan noch E-mu, die einen weiteren Dance Expander, das Planet Earth Sound Modul (mit neuer Frontplatte) ins Rennen schicken. Daneben erweiterten sie die Funktionen des E4 und nennen ihn nun E4 Platinum Sampling Syntheizer (Details und technische Daten auf www.emu.com)

Tascam DM-24Dass ein digitales Mischpult in der unteren Preisklasse alle Qualitäten und Möglichkeiten der grossen aufweisen kann, machte wieder einmal Tascam klar. Das DM-24 wird zwar erst im Januar lieferbar sein, doch war die vorgeführte Betaversion mit ihren Möglichkeiten effektiv eindrücklich. Als preismässiger Konkurrent zum 03D von Yamaha (angekündigter US-Preis ist rund 3000 US$) kann das Tascam DM-24 wesentlich mehr, hat auch die fleixibleren Anschlüsse (u.a. 3 TDIF plus 1 Adat) und 100 mm Moving Faders, folgt also voll und ganz dem "Mehr für Weniger"-Trend.

Die zweite Neuheit bei Tascam war ja voraussehbar, musste ja kommen: Das 788 ist das erste digitale Portastudio der Firma, ebenfalls im Januar lieferbar und soll unter 1200 US$ kosten. Es ist ein 24-bit HD-Recorder, der ohne Kompression arbeitet, integrierte Effektsektionen sowie 250 virtuelle Tracks aufweist. Leider fehlen symmetrische Eingänge und Phantomspeisung. Doch, wie mir der Produkte Spezialist versicherte, arbeitet das angestrebte Zielpublikum ohnehin nicht mit Kondensatormikrofonen; und wenn doch, gäbe es ja genügend hervorragende separate Mikrofonvorverstärker auf dem Markt.

Was das schon lange erwartete USB-428 angeht wurden die ersten Auslieferungen vorgenommen, allerdings wartet man bei Tascam momentan auf die versprochenen Softwareanpassungen von Steinberg und Emagic, die die volle Einbindung erst ermöglichen sollen. Die Kompatibilitätsprobleme der Betriebssysteme (Windows 98 und MacOS 9.0.4) seien jedoch völlig behoben, wurde mir versichert (www.tascam.com).

Alesis AirFXAlesis machte doppelten Wirbel: Mit aller nur erdenklichen Prominenz wurde der Masterlink ML-9600, der seit kurzer Zeit ausgeliefert wird (vgl. meinen NAMM-Bericht), mit all seinen Möglichkeiten nochmals in Erinnerung gerufen. Doch als grösster Gag wurde der AirFx vorgestellt, ein berührungsfreier Soundcontroller. Doch halt! Habe ich nicht schon sowas bei einer Firma namens Beam gesehen, vor etwa fünf Jahren an einer NAMM in Anaheim? Und wurde diese Technologie nicht sogar in einen Roland Synthesizer eingebaut? Das Produkt damals war ein MIDI-Controller, dies hier ist ein Audiocontroller … Wie dem auch sei: Der AirFx von Alesis sieht unglaublich futuristisch aus und ist ein ideales Zusatzgerät für die Musik von heute, für DJs und Remixer … eine Art Kai's Photo Soap (die Bildverbieger Software) für Realtime-Audio. Ebenso beweist der AirFx auch, dass Alesis sich den verschiedensten Marktsegmenten anpassen kann (www.alesis.com).

Und wenn wir schon bei "Déjà vu"-Produkten sind: Erstmals hat mich die Firma TC Electronic mit einer Neuvorstellung enttäuscht: Mit relativ grossem Trara ("Wir finden, dass die menschliche Stimme das schönste Instrument der Welt ist …") wurde der, die, das Helicon vorgestellt. Ich erwartete eine Art Antares Intonator, der es ermöglicht, sowohl im Studio als auch live Intonationskorrekturen vorzunehmen. Statt dessen entpuppte sich Helicon als eine Neuauflage der seit Jahren erhältlichen Vocalists, nicht besser und nicht schlechter klingend als jene. Schade.

Yamaha mLanDoch halt, die wirkliche Innovation, die unser aller Studiodenken und vor allem die Verkabelungsprobleme lösen – oder zumindest verändern könnte, hätte ich beinahe vergessen zu erwähnen. Der Innovator heisst einmal mehr Yamaha (www.yamaha.co.jp) und bietet "mLan" an. mLan ist ein neues Interface, das sich der Firewire-Technologie bedient. Yamaha hat ein Chip Set dazu entwickelt und bietet (günstige) Lizenzen an, die dieses Chip Set mitbeinhalten, was auch kleineren Firmen die Möglichkeit geben soll, mLan in ihre Geräte zu integrieren. Weitere Einzelheiten zu mLan folgen in einem separaten Artikel. Daneben führte Yamaha das SREV1, ein Sampling Reverb vor, ein Gerät für bestmöglich klingenden Hall, das zumindest vom Konzept her an das erste Sony Sampling Reverb DRE-S777 erinnert (vgl. meinen Artikel von der AES 1999 ).

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Software und Computer

NuendoVon den grossen Softwarefirmen im Musikbereich fehlte MotU (Opcode hatte niemand erwartet). Digidesign zeigte Protools 5.1 (trotz der kleinen Nummer ein weiterer Schritt nach oben: www.digidesign.com), Steinberg demonstrierte mit berechtigtem Stolz Cubase 5, das jedoch auch als Demoversion auf den PC begrenzt war (Mac Version folge in Kürze), konzentrierte sich jedoch zusätzlich auf Nuendo, das nun in der Version 1.5 sowohl für PC als auch für Mac vorliegt. Zusätzlich konnte Steinberg TC Works (für ein Surroundhall Plug-in und Yamaha für die Implementation von mLan (siehe oben) für Nuendo gewinnen (www.steinberg.de). Und Emagic präsentierte die Version 4.6 des Logic Audio Platinum mit der integrierten Rocket Technologie: Mit der Einmiete in ein Serverstudio eröffnet sich jedem Logic Audio Platinum Anwender die Möglichkeit, weltweit Musiker für seine Projekte einzuspannen resp. direkt Einspielungen vornehmen zu lassen (und zwar zu jeder Zeit), ohne das Projekt je zu gefährden. Schon ein einfacher Modemanschluss genügt. Die Idee mit den komprimierten Demofiles sowie die Ausführung und Integration in die Software waren überzeugend (www.emagic.de).

Was Computerplattformen betrifft, so sah man zwar allenthalben Macs herumstehen (sie sind ja wirklich nicht zu übersehen, und das Cinema Display lockte immer wieder Interessenten an die Stände), doch spürte man unter Programmierern eine eher abwartende Haltung: Man will zuerst mit der eben erst ausgelieferten Betaversion des MacOS X etwas vertrauter werden und setzt eine gewisse Hoffnung in dieses Betriebssystem, nachdem OS 9 mehr Frustrationen als Optimismus hervorgerufen habe. Doch Windows 2000 wird allenthalben als stabiles und programmier-freundliches Betriebssystem gelobt.

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Special Events

Surround DiskussionEs gibt immer viele Special Events an einer AES Convention, viel zu viele, um alle erleben zu können. So muss man denn wählen, auch wenn die Qual der Wahl schwerfällt. Letztes Jahr hatten mich die Paneldiskussionen der grossen Produzenten begeistert. Also wollte ich auch dieses mal sehen und hören, was die Altväter des Business, die "Platinum Producer" zu sagen hatten. Diesmal schafften es nicht alle angekündigten Gäste, den zu ehrenden Mitstreiter Al Schmitt (von Frank Sinatra bis Diana Krall) mit ihrer Präsenz zu beglücken, doch am Ende war die Schar doch illuster genug: Bruce Swedien, Ed Cherny, Tommy Lipuma, Doug Sax und George Massenburg sassen in den Sofas und erzählten Anektoten aus ihren Erfahrungen mit Al Schmitt. Mitten im Gespräch rief dann noch Phil Ramone an, dessen Worte dank einem Freisprech-Handy eines Zuschauers über die PA-Anlage erklangen. Es war zwar unterhaltend zuzuhören, was die Herren schon alles erlebt hatten, doch verglichen mit der letzten Diskussion waren die Aussagen doch eher unterhaltend-belanglos.

Sidney Harman und George PetersonEinen weiteren Special Event, den ich mir aussuchte, war ein "Afternoon with Sidney Harman". George Peterson, Chefredaktor des Mix Magazine fühlte sich geehrt, als Moderator ein paar Fragen stellen zu dürfen. Sidney Harman, dem ja mittlerweile etwa 32 der grossen Firmen der Audiogerätehersteller gehören (er selber sagte "etwa 32") zeigte sich von der überaus erzählfreudigen, schlagfertigen und charmanten Seite. Seine Lebensgeschichte ist romanverdächtig (wahrscheinlich hat Hollywood schon die Rechte gekauft), da enorm amerikanisch (der Weg des scheinbar Untalentierten zum Erfolg).

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Ausklang

Eigentlich war ich diesmal eher etwas enttäuscht von der AES: Trotz der vielen Besucher hatte ich immer das Gefühl, es sei kaum was los, nie verspürte ich die Begeisterung eines Entwicklerteams, alles war (zumindest für amerikanische Verhältnisse) etwas zu businesslike, zu steif. Doch vielleicht war es auch das unkalifornische Wetter – seit etwa neun Monaten hatte es zum ersten Mal geregnet (für mich direkt ein Erlebnis) und erst am dritten Tag der AES, am Sonntag zeigte das Wetter, was man von Los Angeles Ende September erwartete. Trotzdem: ich freue mich auf die nächste AES auf amerikanischem Boden, nächsten September wieder in New York. Die 110te AES Convention findet allerdings schon vom 12. bis 15. Mai in Amsterdam statt.

Christian Hunziker

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