nab
Christian Hunziker

Die Videorevolution

Es war heiss in Las Vegas, als vom 9. bis 12. April 2000 die NAB, die grösste Radio-, TV- und Multimedia-Veranstaltung Interessenten aus aller Welt anzog. nab, las vegas

Mehr über die Hintergründe der NAB erfahren Sie in meinem letztjährigen Bericht. Unterschied zu damals: Gestiegene Aussteller- sowie Besucherzahlen. Gleich wie vor einem Jahr: Erholsame Ruhe in der Audio-Halle (!), Gedränge und viele Licht-Spiele in den Video-Hallen, lärmige Vorführungen und attraktive Aktivitäten in der Multimediahalle im Sands. Beginnen wir gleich dort.

Apple = Video

ner neue Mac computerApple Computers setzte voll und ganz auf ihre Video-Erfolge: Der iMac DV als Familien-Video-Center löste eine Konsumenten-Lawine aus, die nach mehr schreit. An der NAB, einer Convention für Profis, sah man denn auch die neusten G4 Macs mit und ohne Zusatzkarten, auf denen ein einzige Programm demonstriert wurde: Final Cut Pro. Und von Leuten aus dem Videobusiness liess ich mir bestätigen: Was im Video-Sektor noch vor zwei, drei Jahren nur (und erst noch mühsam) mit einer 500'000-Dollar-Investition erreichbar war, kann man heute auf einer Komplettanlage für unter 10'000 US$ (und dazu noch wesentlich eleganter) schaffen. Mit dem FireWire hat Apple einen Industriestandard geschaffen und sich mit Quicktime auf allen Computerplattformen etabliert. Dass sich "Video für alle" in gleicher Art wie "Audio für alle" durchsetzen wird, jedoch dank Internet und breiterem Interesse eine weit grössere "Revolution" auslösen wird, ist für mich heute schon klar. Und höchstwahrscheinlich wird Apple hier ein nicht unwesentliches Wort mitzureden haben.

Neuste "Einverleibung" in die Apfel-Firma ist die deutsche Firma Astarte, die für Apple nun ihre DVD-Technologie weiterentwickeln wird. "Das Entwickler-Team wird für Apple weiterarbeiten", hiess es in der Pressemitteilung.

Videobearbeitung allenthalben

Enorm, wie viele Softwarefirmen ihre Produkte dem Markt anpassten und nun Video- (genau genommen DV-) Bearbeitungshilfen anbieten. Da viele Computer entweder dafür zu langsam oder mit solchen Aufgaben schlicht überfordert sind, gibt es auch immer mehr Hersteller von speziellen PCI-Karten, die das Rendering in Echtzeit übernehmen – da Zeit Geld ist, können sich nur Hobbyisten Wartezeiten leisten.

Sogar eine Band war auszumachen an der sonst "live"-losen Messe: Mit einem Rap präsentierte der Leadsänger die Vorzüge des neuen Pinnacle Produktes - aussergewöhnlich originell!

Wie in der Audiowelt die vielen Kleinstudios werden in absehbarer Zeit Videonachbearbeitungsfirmen wie Pilze au dem Boden schiessen. Ich wage gar zu behaupten, dass der Sampleklau, resp. die "musikalische Kreativität der Nichtmusiker" sich nun zum Bilderklau mausern wird: Videosequenzen werden – verfremdet, mit diverser Software "überarbeitet" und neu zusammengesetzt – zu neuen Produkten ... eine visuelle Tsunami wird uns überrollen.

Microsoft WebTV

Im professionellen Bereich gibt es natürlich auch viel Videonachbearbeitungssoftware ausschliesslich für Windows-Computer (meist NT); doch Microsoft legte in diesem Jahr vor allem Gewicht auf interaktives Fernsehen. In den USA gibt es (neben dem "Who wants to be a Millionaire?"-Spiel) zwei Game-Shows, die sich seit Jahrzehnten halten (und auch vom deutschen Fernsehen eingekauft wurden): Jeopardy (die Kandidaten müssen verwirrenderweise die Frage zu einer Antwort formulieren) und Wheel of Fortune (Glücksrad). Dank Microsofts Interactive TV, kann jeder Zuschauer, der über die entsprechende Hard- und Software verfügt, von Zuhause aus mitmachen und ebenfalls gewinnen, in dem er VOR dem TV-Kandidaten die richtige Antwort eintippt.

Der Fernseher wird zum Kombigerät: TV und Internet-monitor.
Man sieht auf dem Musiksender ein Video und bestellt per Mausklick resp. TV-Fernbedieung die entsprechende CD

Bill Gates hat ja schon vor einem Jahr von seiner Vision vom Informations-Familienzentrum (interaktiver Fernseher mit Internetanschluss) geschwärmt und seine Firma hat nun diese Vision realisiert. In der bunten Broschüre werden diskutierende Familien vor dem Bildschirm gezeigt, der nun eine Mischung von TV-Bild und Web-Site-Rahmen darstellt.

Hervorragende Bilqualität

Was die Bildqualität des Fernsehschirms angeht, wurden hervorragende neue Produkte gezeigt. Es sind wieder einmal die Japaner (Sony, Panasonic, JVC und Mitsubishi), die mit 16:9 Flachbildschirmen (leider immer noch recht dick) und ganzen Fernsehwänden (im Bild links eine DataWand von Mitsubishi mit einem rund drei auf vier Meter grossen Abbildung von Grindelwald!) in hervorragender HDTV-Qualität brillierten. Die Professionals sind Feuer und Flamme, doch viele Konsumenten, die ich auf die sensationelle Qualität hin ansprach, äusserten sich zurückhaltend: Sie seien ganz zufrieden mit der Bildqualität ihrer jetzigen Empfänger. Man wolle nicht zu schnell in eine neue Technologie investieren, ein zu geringer Anteil werde in HDTV ausgestrahlt, die neuen Empfänger würden ja in den nächsten Jahren noch drastisch preisreduziert ... und solange die Sendungen nicht besser seien ...

3D-Erlebnis

Am Toshiba-Stand konnte man sich ein zumindest überraschendes 3D-Erlebnis zu Gemüte führen: 2 Synchron laufende DVD-Player lieferten die zwei Signale, die zusammengemischt und durch eine polarisierende Spezialbrille auf einem normalen Fernseher wirkliche 3D-Eindrücke vermitteln. Die Täuschung war teilweise so echt, dass die Zuschauer automatisch einem entgegenkommenden Golfball auswichen und fliegende Objekte sich vom Bildschirm zu lösen schienen. Der Aufwand ist noch zu gross, doch für gewisse Anwendungen – z.B. Computergames – ist bestimmt ein Marktpotential vorhanden. Im zweiten Teil befanden sich die Zuschauer denn auch im Cockpit eines virtuellen Raumschiffs und schossen sich freie Bahn in einer Computergame Animation.

Langweiliger Job: Models sassen in studio-ausgeleuchteten z.T. wilden Dekorationen, um mit den neusten TV-Kameras beäugt werden zu können. Die naturgetreue, gestochen scharfe Wiedergabe war sogleich auf dem Monitor (oben) sichtbar.
Übung am Objekt: In bis zu stündigen Seminarien konnten die Teilnehmer - jeder in einem bequemen Spezialsessel mit integriertem Power Book - gleich eigene Erfahrungen mit neuer Software machen. Eine - wie ich meine - hervorragende Promotion!
Surround Sound ist immer noch ein Magnet, und wenn der neue Stargate Film gezeigt wird, bleiben viele viel zu lange sitzen!

DVD für alle?

Nachdem ein CD-Brenner nun schon fast zur Computer Grundausrüstung gehört, könnte man annehmen, dass der Schritt zur DVD-Brennerei ein kleiner sein würde. Doch sieht es nicht danach aus, zumindest nicht in den nächsten paar Monaten. Die Technologie stelle wesentlich grössere Anforderungen an Hard- und Software und stecke noch in den Kinderschuhen. Da die meisten Filme jedoch auch schon auf DVD herauskommen, muss ich mich ehrlich fragen, ob da nicht wieder jemand die Bremsbacken manipuliert hat. Wir können zwar schon DVD-ROMs brennen, professionelle Videos sind auf DVD erhältlich, wieso ist es denn nicht möglich, dass wir ebenso problemlos unsere Familienvideos selber auf DVD brennen können? Wir werden ja sehen.

Und Las Vegas?

Allem Anschein nach genossen die Tausenden von NAB-Besuchern aus aller Welt die "Lasterhaftigkeit" der Stadt der glitzernden Casinos, die sich in den letzten paar Jahren enorm herausgeputzt hat. Neue Hotel-Casinos wie "The Venetian" mit seinen Gondeln auf den Kanälen (alles im Innern des riesigen Hoteltraktes!) und dem virtuellen Himmel, der erschreckend echt den Eindruck eines lauschigen Spätnachmittags in Venedig gibt, auch wenn es draussen in Wirklichkeit Mitternacht ist; oder "Paris", natürlich mit Eiffelturm und Arc de Triomphe, sowie das "Bellagio" mit seinen Wasserspielen zu italienischen Opernmelodien geben Las Vegas einen Hauch "virtueller Kultur".Viva Las Vegas – für drei bis vier Tage wirklich ein Erlebnis.