Usability oder Alles nur Schrott

Nachdem ich etliche Jahren Elektronik wie Musikinstrumente, Recording Equipment und auch Videogeräte evaluiert, gekauft und benutzt habe, versuchte ich Bilanz zu ziehen: Was, wie und wo sind die hör- oder sichtbaren Resultate, die ich mit all diesen unverzichtbaren und zu irgend einem Zeitpunkt heiss begehrten Spitzengeräten erstellt habe?

Hier das mehr als ernüchternde Ergebnis:

Es ist nur wenig Greifbares da. Und die paar kontrollierbaren Ergebnisse meiner künstlerischen Muse wurden durchwegs mit Geräten erzielt, die ohne wochenlange Einarbeitung "plug- and use"-tauglich waren. Mit ComputerschrottEntsetzen musste ich feststellen, dass ich in grossem Stil Zeit vertrödelt habe, um mir mühevoll eine Art Wegwerfwissen anzueignen. Und bevor ich je begonnen hatte, eine neu erworbene "Wundermaschine" zu begreifen (geschweige denn auszureizen), lagen bereits mehrere Updates mit völlig neuen Features vor - oder das vermeintliche "Spitzengerät" hatte bereits nur noch Schrottwert.

Was habe ich zum Beispiel Zeit und Geld vergeudet, um mich mit Synchronisation herumzuärgern. Tonband- und Videomaschinen mit zuerst aufzuspielender Synchrospur sowie sündhaft teuere Module, die eine Synchronisation von Bild und Ton erst ermöglichten, sie alle wurden ersetzt durch eine Timeline in meinem Computer, die das digitalisierte Bild sowie den digitalen Ton steuert. Resultat: Apparaturen im Wert von rund 20'000 Franken mussten gegen Gebühr als Sondermüll entsorgt werden. Und dabei hatte ich so vieles lernen müssen; zum Beispiel wie wichtig es war, das notwendige SMPTE-Gewimmer so aufzuzeichnen, dass Nachbarspuren nicht unter exzessivem Übersprechen zu leiden hatten.

Und wie CH vor Jahren einmal in einem Artikel schrieb: "Bis das ganze System eingeschaltet und aufnahmebereit ist, sind alle kreativen Gedanken verflogen."

Weitere Beispiele

Vor Jahren habe ich mir ein Korg T3 Keyboard gekauft. Traumhafte, rauschfreie Sounds. Programmiert habe ich nie, nur die besten Werksounds benutzt. Heute wird es in unserer Band für Live-Einsätze benutzt: Erst jetzt habe ich die erste Combination selbst erstellt. Warum? Weil auf der Bühne das Drücken von mehr als einem Taster zur Klangänderung zu viel Zeit benötigt. Warum nicht früher? Zu kompliziert!

Oder: Das Yamaha CBXD5. Rein theoretisch ein Traum: Ich habe Wochen gebraucht, um es überhaupt zum Laufen zu bringen. Es war zu diversen SCSI-Controllern inkompatibel, der Yamaha-Support bzw. die Vertriebspolitik … ich unterdrücke mit Mühe einen Kommentar, um Klagen zu vermeiden. Nur soviel: Egal was passiert, nie wieder kaufe ich ein Yamaha-Produkt.

Oder C-Lab: Nach Jahren des Hochlebenlassens wurde der Atari für tot erklärt und damit ein sanfter Druck ausgeübt, auf Mac zu wechseln, wollte man als C-Lab-User vom Fortschritt profitieren.

Oder das VS880 von Roland. Ein phantastisches Gerät, aber ohne Manual nicht zu benutzen. Von intuitiv keine Spur. Deshalb habe ich einen Superkoffer für das VS880 gekauft; der verhindert die Staubablage während der Lagerung.

Oder Video: Auf Super-VHS gewechselt. Schnittcomputer gekauft. Anschlüsse noch und noch. Bis ich das Ding aufgebaut und eingepegelt hatte, war das Wochenende vorüber. Gelernt, gelernt, gelernt: Dieses Wissen ist heute ein nettes Andenken.

Oder ein ganz feines Stück: Die Soundkarte EWS64 von Terratec. Supersound, ersetzt alles, einschliesslich Sampler. Allein mit diesem Wunderding ging ein Grossteil meiner Freizeit drauf, da alle paar Tage Updates erschienen und neue Versionen zum Download angeboten wurden. Alles wird immer besser, und in diesem Fall war auch der Support ausgezeichnet. Aber wann arbeite ich damit, wenn ich nur damit beschäftigt bin, das Board in der neuesten Version betriebsbereit zu halten?

Ganz zu schweigen von meinem ersten CD-Brenner: Sony CDU926. Erstens konnte er nicht Disc-at-once schreiben, und zweitens hatte ich einen 924 bestellt im Bundle mit CD-Creator. Das Bundle gab es nicht mehr, der 926 wurde von CD-Creator (den ich mir extra anschaffen musste) nicht erkannt. Erst der Neukauf von Easy CD-Creator, jetzt von Adaptec vertrieben, hat den ersten Brennvorgang ermöglicht. Würde ich in den klagefreudigen USA leben, wären mindestens zwei Anwaltsbüros voll mit meinen Fällen beschäftigt.

Nach all dem Negativen

Es gibt schon einige Aufnahmen: Verblüffend gute Life-Mitschnitte, die merkwürdigerweise durch Nachbearbeiten nicht besser, sondern schlechter wurden. Zum Glück hatte ich die Originale gespeichert.

Und aus lauter Horror vor Video-Nachbearbeitung habe ich gelernt, auf Schnitt zu drehen. Auch in diesem Fall ist das intuitive Material der überlegten Aufnahme besser als jeder spätere Schnitt, Nachvertonen ausgenommen, aber das ist ja in digitalen Zeiten problemlos.

Fazit

Ich habe gelernt, genau zu umreissen, was ich eigentlich will. Heute weiss ich, welchen Aufwand ich zur Erzielung eines Ergebnisses bereit bin zu betreiben.Computerschrott 2 Danach richte ich meine Anschaffungen aus. Lieber das zweitbeste Gerät, das ich auch wirklich nutze, statt der sogenannt besten Wahl, die mich allein durch den Lernprozess von der eigentlichen Arbeit oder dem kreativen Vorgang abhält.


Nicht nur Computer: Die meisten elektronischen Geräte landen viel zu schnell auf dem Schrottplatz, meistens bevor man sie je richtig einzusetzen gelernt hat.

Womit ich heute Musik mache? Mit KN-Keyboards von Technics. Ohne weitere MIDI-Module, Patchbays usw. Nur einschalten und loslegen.

Und heute filme ich mit Digitalvideo: hervorragende Bildqualität. Und sollte mir wirklich einmal DER Videoknüller gelingen, werde ich mir sicher auch leisten können, das Editing und den Feinschliff in einem Profistudio einem Spezialisten zu überlassen.

Christian Martin

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