Jazz-Duos – Teil 2

Shawn & the Wolf – «Altas Horas»

Publiziert am 21. September 2018 - Christian Hunziker

Dieses Album ist nicht nur wegen der aussergewöhnlichen Duo-Formation speziell, es ist auch das erste Album, das ich besprechen darf, das durch Crowdfunding ermöglicht wurde. Das gesteckte Funding-Ziel waren 5000 Euro. Dank 112 Unterstützern kamen am Schluss 6000 Euro zusammen.

Im Gegensatz zur letztbesprochenen Duo-Aufnahme zweier amerikanischer Altmeister (Houston Person & Ron Carter – «Remember Love») stammt «Altas Horas» aus Deutschland. Der kanadische Posaunist Shawn Groscott siedelte schon 1995 nach Deutschland über, wo er an verschiedenen klassischen Events auftrat (u. a. in der Berliner Philharmonie und beim Mozartfest in Würzburg). Momentan leitet er die Big Band der Hochschule für Musik in Detmold (Nordrhein-Westfalen).

In Detmold arbeitet auch Wolfgang Meyer als Musikalienhändler. Seine musikalischen (Bühnen-)Erfahrungen sammelte er in verschiedenen Jazz- und Big Bands, aber auch als Dirigent und Schauspielmusiker. Dank (minimaler) elektronischer Unterstützung (Loop-Technik) und dem spärlichen, oft kaum hörbaren, aber doch unterstützenden Einsatz seiner Stimme ersetzt er mit seiner Gitarre sowohl Bass als auch Perkussionsinstrumente und bringt subtile Klangvariationen in sein Spiel. Diese Zusätze sind dermassen elegant in das Gesamtkonzept integriert, dass man sie beim ersten Hören kaum wahrnimmt – und einfach überrascht ist von der Klangfülle dieses Duos.

Wolfgang Meyer hatte sich eigentlich von der Bühne zurückgezogen. Erst die Zusammenarbeit mit Shawn überzeugte ihn, wieder Konzerte zu bestreiten. Mittlerweile haben die beiden drei (erfolgreiche) Kanada-Tourneen hinter sich und traten an diversen internationalen Festivals und natürlich in Deutschland auf.

Wolfgang Meyer und Shawn Groscott treten gerne live auf.

Das Album

Die Stückwahl für dieses Album ist vielfältig und überraschend: Unter weniger Bekanntem finden wir den Beatles-Hit «Can’t Buy Me Love», Stevie Wonders «Overjoyed», Oliver Nelsons «Stolen Moments», Burt Bacharachs «Close to you» und George Dukes «Sweet Lucy», das ich bis anhin nur in der Version des Posaunisten Raul de Souza kannte: eine typische Endsiebziger-Aufnahme mit unglaublichem Drive.

Raul

Bekannte Stücke neu zu interpretieren birgt immer die Gefahr, dass der Zuhörer – das Original im Ohr – enttäuscht wird. Ausser bei «Sweet Lucy», an das ich mich in dieser neuen, «abgespeckten» Version richtiggehend gewöhnen musste, da auch das Original von der Posaune getragen wird, sind alle Cover-Versionen so speziell anders als die Originale, dass das Bekannte eher einen positiven Effekt hat.

Ungewöhnlich ist meiner Ansicht nach, dass «Altas Horas» mit «Choral» eröffnet wird – einem, schönen, ruhigen Stück zwar, das jedoch nicht unbedingt den Einstieg in dieses Album erleichtert, da es mir nicht typisch erscheint für das, was danach kommt.

Schon beim ersten Mal fasziniert «Altas Horas». Und obgleich nur von zwei (Top-)Musikern bestritten, entdeckt man bei jedem weiteren Abspielen Neues, hört subtile Ergänzungen und wird immer wieder vom kompakten Zusammenspiel überrascht.

Wenn ich mir einen weiteren Vergleich mit «Remember Love» erlauben darf: Shawn and the Wolf sind straffer organisiert, ihre Stücke klingen detaillierter geplant (jedoch mit viel Spontaneität versetzt), während Ron Carter und Houston Person einfach draufloszuspielen scheinen, mit einer «mal schauen, was draus wird»-Mentalität arbeiten. Dies ist keine Kritik, sondern eine Feststellung, die sich aber in der Musik niederschlägt.

Einen kleinen Vorgeschmack auf die Musik sowie weitere Informationen erhält man in diesem sympathischen Kurzvideo:

YT

Live

Laut der Notizen zu «Altas Horas» wurde das gesamte Album während vier Konzert-Sessions aufgezeichnet. Es wurden nur je 25 Gäste in das zu einem Weinhof umgebaute Fabrikgebäude eingeladen. Das Publikum erhielt, nebst einem «guten Tropfen Wein» auch einen Kopfhörer verpasst, sodass die Gäste genau dasselbe hörten wie der Tonmeister. Auf dem Album ist nichts von «Live-Atmosphäre» zu spüren, es sind also keinerlei Nebengeräusche zu hören. Trotzdem klingt die Aufnahme nicht nach steriler Studioumgebung mit viel Nachbearbeitung. Es klingt natürlich, und das ist ausgezeichnet.

Fazit

Es hat lange gedauert, bis Shawn and the Wolf endlich ihre Kollaboration einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren konnten. Ihr Album «Altas Horas» ist spannend, überraschend, hervorragend gespielt und ausgezeichnet aufgenommen: absolut empfehlenswert!

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Onlinelink:
http://www.avguide.ch/musikrezension/jazz-duos-x-teil-2-shawn-and-the-wolf-x-xaltas-horasx