Traurig und verspielt

Avishai Cohen – «Playing The Room»

Publiziert am 13. September 2019 - Christian Hunziker

2016 veröffentlichte ECM das Album «Into The Silence», auf dem Avishai Cohen den Verlust seines Vaters musikalisch verarbeitet. Schon damals war Yonathan Avishai mit von der Partie – die zwei kannten sich bereits als Teenager in Tel Aviv – und leistete sowohl pianistisch als auch kompositorisch seinen Beitrag zum Gelingen des Projekts.

Gespannt erwartete ich «Playing The Room», eine weitere Kollaboration Avishai Cohens mit seinem langjährigen Freund. Diesmal waren sie nur zu zweit, ausschliesslich Trompete und Klavier, aufgenommen in einem akustisch exquisiten Konzertsaal (ohne Publikum) in Lugano.

Dass diese Produktion fröhlichere Klänge liefern würde, war wohl «wishful thinking» meinerseits. Zumindest die vier ersten Stücke (alle in Moll) stimmen mich traurig bis schwermütig. Allerdings sind sie auch wunderschön, da das Zusammenspiel der zwei ausserordentlichen Talente eine versöhnende Leichtigkeit vermittelt. Zudem wirkt die Aufnahme echt und ungekünstelt; man fühlt, dass der schwebende Klang allein durch den Raum entstand und keine elektronischen «Veredelungen» vorgenommen wurden.

Und es war eben diese spezielle Akustik, die Manfred Eicher (ECM) dazu bewegt hatte, dort eine Duo-Aufnahme zu initiieren. Deshalb auch der Titel «Playing The Room». Für diese melancholischen Töne ist der natürliche, warme Nachhall des mit Holz ausgekleideten Auditorio Stelio Molo RSI ideal.

Avishai Cohen und Yonathan Avishai (© Francesco Scarponi / ECM Records).

Mit dem fünften Stück «Kofifi Blue» kommt plötzlich verhaltene Verspieltheit auf. Zwar spürt man immer noch keine echte Fröhlichkeit – Yonathan flicht subtil «Everytime we say goodbye, I die a little» in sein Solo ein – doch zumindest der Rhythmus ist akzentuierter, das Tempo leicht gesteigert und spürbar.

«Dee Dee» ist dann noch verspielter, erinnert mich an lachend lärmende Kinder, die mit Kreide Himmel und Hölle aufs Trottoir gezeichnet haben und nun ihrer Spielfreude freien Lauf lassen.

«Ralph’s New Blues» ist wohl das jazzigste Stück dieser Session, was bestimmt auch mit der Harmoniefolge (12-Takt-Blues in F) zu tun hat.

Etwas seltsam hat mich (als grossen Stevie-Wonder-Fan) Yonathans Version von «Sir Duke» berührt: Die geballte Dynamik des Originals wurde entfernt, aufgeweicht, die Melodie eher zu einem Kinderlied umfunktioniert, leicht und bunt. Es ist eigentlich (fast) Yonathans Solostück; Avishais Trompete kommt erst gegen das Ende gedämpft zum Einsatz.

Und zum Schluss wird es wieder eher besinnlich, melancholisch: Das Wiegenliedchen (Lullaby) «Shir Eres» ist für meinen Geschmack (und aus der Erfahrung mit meinen Kindern) ein zu trauriges Schlafliedchen, schliesst jedoch den Kreis und führt gefühlsmässig zurück zu den ersten Kompositionen.

Fazit

Wie schon erwähnt, ist die Aufnahme dank der Raumakustik beinahe perfekt – natürlich ist es einfacher, zwei Instrumente aufzunehmen als ein Grossorchester, und dieser Raum würde sich ohne Trennwände nicht für eine Aufnahme mit Schlagzeug eignen; doch für das Duo ist er perfekt.

Die beiden Musiker sind Meister ihres Fachs, ihr Zusammenspiel hinreissend. Eigentlich stimmt alles – bis auf die Gesamtatmosphäre, die zwar nicht mehr dermassen depressiv ist wie bei «Into the Silence», jedoch immer noch ziemlich viel vom Zuhörer abverlangt. Diese an sich schöne, meist wohlklingende Musik kann die eigenen Gefühle ziemlich durchrütteln.

Info

HR
Q
 

Onlinelink:
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